Deutsches Studienzentrum in Venedig

Alexander Karl Ricardo Cattaneo

Alexander Karl Ricardo Cattaneo

Die Architektur der Cappella Emiliana von San Michele in Isola
Dissertationsprojekt

Architekturgeschichte/Bauforschung - RWTH Aachen University, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Anke Naujokat

Ganz an der nördlichen Spitze der Klosterinsel San Michele erhebt sich neben der ehemaligen Klosterkirche der Kamaldulenser die einzigartige und doch von der Forschung wenig beachtete Cappella Emiliana. Dieses Kleinod venezianischer Hochrenaissance-Architektur, das zwischen 1528 und 1543 nach einem Entwurf und unter der Leitung des bergamasken Steinmetzarchitekten Gugliemo dei Grigi d’Alzano geschaffen wurde, steht eindeutig im Dialog mit der ersten weißen Renaissance-Fassade der Kirche San Michele in Isola und inszeniert sich gleichzeitig als ganz eigene „giexiulla“, die der „Annunciatione della Madonna“ geweiht wurde. Das von den Prokuratoren von San Marco ‚de citra‘ beauftragte Projekt geht dabei ursprünglich auf ein selbstsicheres Postulat der Witwe Margherita Vitturi von 1427 zurück, welche nicht nur die Andacht an ihren verstorbenen Ehemann Giovannino Miani ins Auge fasste, sondern vor allem auch ihre eigene.
Im vielfältigen historischen Architekturportfolio Venedigs nimmt die realisierte Cappella Emiliana eine besondere Position ein, gehört sie doch zu den wenigen echten Zentralbautypologien der Stadt und tritt darüber hinaus auch als dedizierte Annexkapelle zur postumen Kommemoration zweier Patrizier besonders hervor. Der Material-Luxus in Form des weiß strahlenden istrischen Kalksteins und einer Vielzahl polychromer Marmore und Hartgesteine ist nicht nur charakteristisch für die handwerkliche Gewohnheit des dekorationseifrigen Steinmetzes, sondern demonstriert auch die finanziellen Mittel, die die Prokuratoren als Vollstrecker ideeller Bauherrenschaft in Zeiten von Pest und Krisen bereit waren, auszugeben. Der sechseckige Grundriss mit fünfseitigem Vestibül ist besonders hervorzuheben und im Zusammenhang mit Guglielmo dei Grigi, der eigentlich durch Altäre, Fassadenprojekte und Verteidigungsbauten in der Serenissima bekannt geworden ist, keineswegs als rein zufällige architektonische Idee zu beurteilen. Darüber hinaus entzieht sich die Kuppelkonstruktion mit innerem Druckgewölbe und äußerer Kragkuppel, die durch eine mittige geziegelte Säule gestützt wird, jedweden Vergleichs mit anderen Kuppelbauten Venedigs und ganz Italiens.
Die Cappella Emiliana lässt sich unter anderem als besonderes Zeugnis für eine Phase interpretieren, welche die traditionelle Ästhetik orientalischer Eindrücke mit den stärker werdenden Impulsen einer ‚all’antica‘-Bauweise verband. Und das während – oder kurz bevor – Jacopo Sansovino in der Lagunenstadt Maßstäbe für prachtvolle Architektur im Geiste antiker vitruv‘scher Prinzipien setzte, die von den Traktaten der Renaissance gefördert und gerechtfertigt wurden.

Von März 2024 bis August 2024