Anika Gründer
Ländliche Initiativen als Motoren der Transformation
Kunststipendium
Architektur
Ausgehend von meinem eigenen Leben und Arbeiten als Architektin an einem ländlichen Ort und unserer „Experimentierstätte für zukünftiges Bauen“ auf dem Schlossgelände in Bedheim, gehe ich nach Japan nun in Italien auf die Suche nach Gleichgesinnten.
In den politischen, wissenschaftlichen und sozialen Foren der Welt werden Transformationen in eine ökologiebewusste und lebenswerte Zukunft diskutiert. Rufe nach einer post-fossilen Bauindustrie, einem suffizienteren Selbstverständnis und einer neuen Care-Mentalität gegenüber Umwelt und Mitmenschen und sich selbst sind laut. Ein aus meiner Sicht entscheidendes Fazit ist: das Wissensdefizit zu dieserart Themen ist wesentlich geringer als das Handlungsdefizit.
Häufig unbemerkt von den großen Zentren (und damit den DiskutantInnen), bilden sich Initiativen in ländlichen Räumen (und damit dort wo Platz ist), die die geforderten Transformationen ganz einfach leben. Gruppen von Entrepreneurs, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, LandwirtInnen und TechnologInnen lassen sich in ruralen Räumen nieder und arbeiten zusammen. Altbekannte Kategorien wie die der Aussteiger greifen zu kurz. Die Überzeugung von der Notwendigkeit zu Handeln und der Wunsch nach Selbstwirksamkeit treiben sie an. Auch die neuen Möglichkeiten des 100%-remote-Arbeitens und Vorteile durch staatliche Resilienz-Förderprogramme ländlicher Räume begünstigen solche Entscheidungen. Neben das Phänomen der „Landflucht“ ist schon längst das der „Stadtflucht“ getreten.
Einige meiner Reiseziele liegen weit im Süden Italiens, jedoch lässt auch die Lagune Venedigs Begegnungen mit Menschen, die auf der Suche nach ländlicher sozialer Innovation, ökologisch und ethisch vertretbaren Lebensformen, Anbau-, Bau- und Ernährungsweisen sind, erhoffen. Trotz der Suche nach kontextueller Einordnung, stehen nicht Phänomene, sondern einzelne Geschichten, Orte und Begegnungen im Vordergrund. Hierbei gilt mein Interesse Synergien zwischen der Stadt und seiner sie umgebenden Landschaft, zwischen zyklischem Erhalt und kreativem Schaffen, zwischen Meer und Boden, zwischen Bäuerlichkeit und Tourismus, zwischen Ausbeute und Fruchtbarkeit.
Textile Reuse
Auch als Künstlerin interessieren mich ungewöhnliche, ja vielleicht auch unbequemen Synergien. Das während meines Venedig Aufenthalts fertiggestellte Kunstwerk „Wendeweste (interreligiös)“ bringt zwei aus unterschiedlichen Gründen obsolet gewordene Textilien, ein Stück Kiswa (jährlich wechselnder Behang der Kaaba) und ein Parament einer umgenutzten evangelischen Kirche zusammen.
Die Themen dieses Werkes wirken hier in Venedig nach. Und so bin ich sensibilisiert für symbolisch und historisch aufgeladene sowie völlig bedeutungslose Trash-Textilien der Stadt. Auch das Thema des gelebten Islam in Europa lässt mich (Spuren von) Projekten, wie Christoph Büchels Realinstallation „The Mosque“ von 2015 in der Chiesa della Misericordia in Cannaregio entdecken.
Von Oktober 2024 bis Dezember 2024