Anja Brug
Von Januar 2010 bis März 2010
Von März 2009 bis Mai 2009
Marco Boschinis La carta del navegar pitoresco.
Zweisprachige Ausgabe mit wissenschaftlichem Kommentar und einführenden Texten
Kunstgeschichte - HHU Univ.-Prof. Dr. Valeska von Rosen
Marco Boschinis La carta del navegar pitoresco ist einer der bedeutendsten und zugleich reizvollsten kunsttheoretischen Texte im Venedig des 17. Jahrhunderts. Die Schrift kam 1660 als Hauptwerk des Stechers, Kunsthändlers und Kunstschriftstellers Marco Boschini (1602–1681) heraus. Verhandelt wird darin die venezianische Malerei ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts bis zu Boschinis Zeitgenossen des Seicento. Mehrere besondere Aspekte machten die Carta zu einer in der Forschung vergleichsweise wenig untersuchten, da schwer rezipierbaren kunstliterarischen Schrift: Sie ist als Dialog im venezianischen Dialekt sowie in Reimform verfasst und verfügt mit circa 20.000 Versen über einen monumentalen Umfang.
Gesprächspartner des fiktiven Dialogs sind „ecelenza“, ein venezianischer Patrizier, und ein Kunstkenner, der „compare“, in dem Boschini personifiziert ist. Ihre Unterhaltungen über die venezianischen Maler, über deren Werke, Maltechniken und Gestaltungsmittel, ebenso wie über die lokalen Sammlungen und den zeitgenössischen Kunstbetrieb in und außerhalb der Stadt führen sie während einiger „viazi“ durch die Kanäle und durch die Lagune Venedigs, die sie in einer „barca“ zu den Besichtigungsorten unternehmen. Vor Ort tauschen sie sich in teils ausführlichen Beschreibungen direkt vor den Gemälden aus; bei Regen oder wenn die Gondel in der Werkstatt ist, treffen sich die Dialogpartner im Palazzo des „senator“ und rufen sich vergangene Besichtigungen und Beobachtungen in Erinnerung.
In ihrer raffiniert durchdachten Konstruiertheit ist die Carta innerhalb des Kunstdiskurses und der Dialogliteratur der Zeit einzigartig. Die Carta zeigt, abweichend vom durch Vasari zur Norm erhobenen linear-progressistischen Erzählen der Viten-Literatur, ein durch Raum und Zeit definiertes narratologisches Modell, das unter anderem auf die ab Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend nachgefragten und verbreiteten, sich sehr heterogen präsentierende Guiden-Literatur in Rom und Venedig rekurriert. Zudem ist Boschinis Kunstgespräch auf die Erzeugung von hoher Glaubwürdigkeit ausgerichtet, um den Leser*innen Vorstellungsbilder von Stadt und Malerei zu vermitteln und sie zugleich zur eigenen Evidenzerfahrung vor den Gemälden anzuleiten. Dies gelingt durch die Einbindung theaterhaft-performativer Elemente in die Handlung, durch die Evokation von Raum und schließlich durch die Nutzung einer Vielzahl unterschiedlichen Themenbereichen entstammender Sprachbilder.
Um dieses so komplexe wie allusive hybride Textgefüge im „close reading“ zu erfassen und zu durchdringen, wurde eine Übersetzung aus dem Venezianischen ins Deutsche erstellt.
Geplant ist eine zweisprachige Edition von Marco Boschinis Carta del navegar pitoresco, die einen ausführlichen, wissenschaftlichen Anmerkungsapparat sowie mehrere, die Carta einführende analytische Texte einschließt.
Ziel des Aufenthalts am Deutschen Studienzentrum in Venedig soll es sein, die Edition der Carta del navegar pitoresco anhand von (kunst)literarischen Quellen, Archivmaterialien und Sekundärliteratur in verschiedenen Institutionen, Archiven und Bibliotheken zu vervollständigen und Boschinis Ekphraseis auch in Hinsicht auf dessen wahrnehmungsästhetische Bewertungskategorien mit den in situ befindlichen Gemälden abzugleichen.
Februar 2024