Anna Katharina Pieper
Annäherung im imperialen Kontext. Katholizismus und Kolonialpolitik im liberalen Italien (1878-1912)
Dissertationsvorhaben
Geschichte - Prof. Dr. Johannes Paulmann, JGU Mainz
Nach seiner Gründung (1861) rang der junge italienische Nationalstaat nicht nur außenpolitisch um einen Platz unter den etablierten Kolonialmächten, sondern auch um Anerkennung auf innerstaatlicher Ebene. Die ungelöste „Römische Frage“ und die daraus resultierende Spaltung der italienischen Gesellschaft hatten eine politische Integration des Katholizismus in den Staat ebenso verhindert wie eine effektive Zusammenarbeit zwischen (Kolonial-)Staat und katholischer Missionsarbeit.
Einen zentralen Streitpunkt zwischen politischen katholischen Lagern bildete die Kolonialfrage. So lehnten Vertreter des antiliberalen Katholizismus („Intransigenti“), welche die temporale Macht des Papstes unterstützen und etwa in der katholischen Dachorganisation Opera dei Congressi e dei Comitati Cattolici vertreten waren, nicht nur den liberal regierten Nationalstaat, sondern auch seine Kolonialpolitik vehement ab. Diese würde, ihrer Meinung nach, dem „guten Ruf“ Italiens schaden.
Nationalkonservative Katholiken hingegen sympathisierten mit den Liberalen und sprachen sich für die Reduktion der päpstlichen Kompetenzen auf das Spirituelle sowie für eine Aussöhnung zwischen Staat und Kirche aus. Zur „Verbreitung der italienischen Kultur und Sprache in der Welt“ setzten sie sich in Gestalt der Associazione Nazionale per Soccorrere i Missionari Cattolici Italiani (ANSMCI) für ein verstärktes Ineinandergreifen von Missionsarbeit und Kolonialinteressen ein. Der Verein war seinem Selbstverständnis nach katholisch und humanitär, dabei aber zu nationalistisch, um gemäß dem päpstlichen Verbot der politischen Partizipation von Katholiken in Italien (1874) als rein karitativ zu gelten. In liberal-antiklerikalen Kreisen wurde der Verein als „zu katholisch“ angesehen und unter intransigenten Katholiken des Antiklerikalismus und der Freimaurerei verdächtigt.
Um die Jahrhundertwende begann sich diese problematische Zwischenposition des ANSMCI zu ändern, während sich auch der italienische Kolonialdiskurs insgesamt wandelte. Italiens militärische Niederlagen in Dogali (1887) und Adua (1896) hatten die allgemeine Kolonialbegeisterung abebben lassen und die intransigenten Katholiken in ihrer vehementen Ablehnung des italienischen Kolonialprojektes bestärkt. Die während des Boxerkrieges (1899-1901) in China getöteten italienischen Missionare wurden jedoch bald zu nationalen Märtyrern umgedeutet. Immer mehr Katholiken forderten nun die staatliche Unterstützung der italienischen Missionen, welche finanziell und militärisch – primär mit der Hoffnung auf Kolonialgebiete in China – erfolgte.
Während des Italienisch-Türkischen Krieges (1911-1912), als sich antiimperialistische Haltungen in Italien weitgehend auf das sozialistische und anarchistische Milieu beschränkten, waren diese Forderungen schließlich in eine nationalkatholische, antiosmanisch geprägte Unterstützung des Kolonialkrieges in Libyen umgeschlagen. Die Überlappung und Verschmelzung staatlicher und kirchlicher Sphäre im imperialen Kontext antizipierte somit nicht nur die Annäherung zwischen Staat und Kirche in Italien, die Kolonialfrage fungiert darüber hinaus auch als Maßstab für den Grad der Spaltung zwischen wichtigen katholischen Gruppierungen und ermöglicht damit die Untersuchung der Nationalisierung des italienischen Katholizismus um die Jahrhundertwende.
Von Januar 2019 bis März 2019
Von November 2019 bis Dezember 2019