Matthias Schulz
Morphologische Identitäten zwischen Organik und Anorganik im Oeuvre Andrea Mantegnas (Arbeitstitel)
Kunstgeschichte (HBK Braunschweig, Prof. Dr. Victoria von Flemming)
In Mantegnas Oeuvre kommt es zu einer Ineinanderspiegelung und wechselseitigen Substitution von organischen und anorganischen Bedeutungsträgern. Diese morphologischen Identitätsbildungen existieren allerdings nicht als separate oder autonome Reinformen. Sie verhalten sich eher wie ein Gewebe aus Transitionen: kristalline oder korallenhafte Steine, die wachsen und fließen, Körper und Gewänder, die wie Marmor anmuten, Nimben und Rüstungen, die aus denselben Metallen gegossen und geschmiedet zu sein scheinen, Vegetationen, die sich zur Architektur fügen oder in die Versteinerung streben sowie Wolken und Felsen, die Gesichter tragen und artifizielle Formen bilden. Daraus resultieren Grundfragen, die an die kulturhistorischen Bedingungen der Materialinszenierung und die Strategien ihrer Semantisierung zu stellen sind: Welches Verständnis von Materie hat Mantegnas Kunstschaffen geprägt und welchen Einfluss übte es auf sein Selbstverständnis als Künstler aus? Unter welchen Aspekten und mit welchen Konnotationen wird Materie in Mantegnas Oeuvre als wandlungsfähig konzipiert?
Es ist wahrscheinlich und darin besteht auch eine der leitenden Thesen meines Dissertationsprojektes, dass hier ein eigenes Wahrnehmungsdispositiv wirkt, das in wesentlichen Zügen synkretistisch ist, weil es ebenso durch aristotelisch-hylemorphistische sowie lukrezianische und hermetistische Naturkonzeptionen und (Eros-)Kosmologien geprägt ist.
Morphologie in dem für das Dissertationsprojekt zugrunde gelegten Verständnis thematisiert daher Austausch-, Wandlungs- und Überformungsprozesse organischer und anorganischer Materien im Bild, die nur punktuell Unterscheidungen zwischen Stillstand und Bewegung, Aktivität und Passivität, Intention und Kontingenz gestatten. Materie ist nicht der träge Stoff, der nur darauf wartet gestaltet zu werden. Vielmehr gilt sie Mantegna als Verhandlungssache zwischen mimesis und phantasia, die ihrerseits auf den Dialog von Antikenrezeption und Naturwahrnehmung Einfluss nehmen.
Während meines Aufenthaltes am Deutschen Studienzentrum werde ich mich auf Recherchen zur oberitalienischen Aristoteles-Rezeption des 14. und 15. Jahrhunderts anhand der originalen Druckwerke konzentrieren. Darüber hinaus werde ich mich vor allem dem naturkundlichen, alchemistischen und hermetistischen Schriftgut widmen, das ca. zwischen 1460 und 1500 in den oberitalienischen humanistischen Gelehrtennetzwerken zirkulierte und seinerseits Rückschlüsse gestattet auf die Relevanz und Verbreitung naturphilosophischer Ideen zur Entstehung von Elementen und Organismen aus unbelebter Materie. Ziel ist es vor allem, naturphilosophische und kunsttheoretische Topoi in Bild und Text zu ermitteln, die Mantegnas Materialsemantiken und -ästhetiken beeinflusst haben könnten.
Von August 2017 bis Januar 2018
Von Februar 2019 bis März 2019