Deutsches Studienzentrum in Venedig

Paula Schlüter

Paula Schlüter

Komponisten analysieren. Studien zur musikalischen Analyse im Kontext der europäischen Nachkriegsavantgarde
Dissertationsprojekt

Musikwissenschaft/Universität Paderborn, Prof. Dr. Antje Tumat

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert etabliert sich musikalische Analyse nicht nur als Methode der Musikwissenschaft, sondern gewinnt auch für Komponist*innen neue Relevanz. Dabei kombinieren sie verschiedene analytische Zugänge und Zielsetzungen: Einerseits analysieren sie mit einem subjektiven kompositionshandwerklichen Anspruch, um künstlerische Problemlösungen von Vorbildern näher zu studieren und für ihr eigenes Schaffen produktiv zu machen. Andererseits sind mit diesem kompositionshandwerklichen Ansatz häufig hermeneutische Sinnzuweisungen verschränkt, die eine zentrale Rolle für die historische und ästhetische Selbstverortung der Künstler*innen übernehmen können.

Während mehrere Einzelstudien u.a. die analytische Rezeption von Werken Anton Weberns durch Komponisten wie Pierre Boulez, Henri Pousseur oder Luciano Berio in den Blick nahmen, stehen bisher umfassende Untersuchungen zu musikanalytischen Rezeptionsprozessen im Kontext einer kompositorischen Nachkriegsavantgarde aus, deren Netzwerke sich nach 1945 innerhalb Europas zwischen Deutschland, Italien, der Schweiz, Belgien und Frankreich formen. Ausgehend von einer praxisbezogenen Perspektive auf das musikalische Analysieren werden im Rahmen verschiedener Archivstudien diverse Quellentypen erschlossen – darunter Notizen, Korrespondenz, Eintragungen in Notenausgaben, Kompositionsskizzen, Vorträge, Rundfunkbeiträge oder analytische Aufsätze. Der Forschungsaufenthalt am DSZV ist der Recherche am Nachlass des venezianischen Komponisten Luigi Nono (1924–1990) gewidmet. Als zentraler Akteur in europäischen Komponistennetzwerken der 1950er Jahre beginnt Nono sich bereits ab 1946 im Rahmen seiner künstlerischen Ausbildung mit Möglichkeiten der Zwölftontechnik zu beschäftigen. Die Herausbildung eigener kompositionstechnischer Strategien geht dabei sowohl mit einem intensiven Studium musiktheoretischer Traktate als auch mit detaillierten musikalischen Analysen von Werken der frühen Neuzeit bis zur Wiener Schule einher. Die Quellenrecherche im Archiv steht in enger Verbindung mit folgenden Forschungsfragen: Welche Funktionen übernimmt die musikalische Analyse für die analysierenden Komponisten? Welcher Kanon wird analysiert? Vor welchem musiktheoretischen Hintergrund finden musikalische Analysen statt? In welchen privaten und öffentlichen Kontexten, zu welchen Anlässen wird analysiert?

Von April 2023 bis Mai 2023

Oktober 2023