Roman Lüttin
Kollaboratives Komponieren in der Frühen Neuzeit
Musikwissenschaft/Universität Heidelberg, Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt
Künstlerische Produktion unterliegt durch das Paradigma individueller Autorschaft bis heute in der Regel einer individualpoetischen Lesart. Kulturelle Artefakte, seien sie literarischer, bildkünstlerischer oder klanglicher Art, verdanken sich jedoch nie nur der Leistung von Einzelnen; sie entstehen immer im Zusammenspiel verschiedener Akteure. Die Prozesse und Praktiken der Zusammenarbeit im Rahmen der Produktion frühneuzeitlicher Musik stellen ein bislang kaum bearbeitetes Forschungsfeld dar, insbesondere Kollaborationen zwischen Komponisten sind bislang nicht umfassend erforscht. Dabei nutzen Komponisten in der Frühen Neuzeit verschiedenste Interaktionsräume und Modelle der Zusammenarbeit: Sie reichen von kleinen Revisionen und Korrekturfahnen der Komponistenkollegen bis zur gemeinschaftlichen Vertonung größerer Textkorpora, von der einmalig in Co-Autorschaft veröffentlichten Anthologie bis zum mehrfachen Auftritt als geschlossenes Komponistenkollektiv.
Das Projekt untersucht unterschiedliche Motivationen, Kontexte und Modelle der Zusammenarbeit bei der Produktion musikalischer Texte von ca. 1470 bis 1620; ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem italienischsprachigen Raum. Im Rahmen unterschiedlicher Fallstudien werden kollaborativ erarbeitete Werke und Werksammlungen in ihre historisch-diskursiven sowie textkulturellen Rahmenbedingungen eingebettet. Kollaborationen sollen auf ihre didaktischen, sozialen und identitätsstiftenden Dimensionen auf individueller und institutioneller Ebene befragt werden, ebenso auf ihre Funktionen in der Entwicklung frühneuzeitlicher Autorisierung, Repräsentation und musikalischer Autorschaft sowie nicht zuletzt auf ihre Rolle in der Ausbildung und Festigung kompositorischer Konventionen und Normen.
Der Forschungsaufenthalt am Deutschen Studienzentrum fokussiert verschiedene Anthologien des in der Cappella Marciana beschäftigten Sängers, Komponisten und Herausgebers Giulio Bonagiunta, die in den 1560er-Jahren beim venezianischen Drucker Girolamo Scotto erscheinen. Die von Bonagiunta lancierten Sammlungen zeichnen sich durch unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit aus und können als Ausgangspunkte einer Konsolidierung unterschiedlicher Kollaborationsmodelle in musikalischen Anthologien der zweiten Jahrhunderthälfte verstanden werden. Ziel der Archivstudien in Venedig ist eine Kontextualisierung und Analyse seiner Sammlungen sowie eine Rekonstruktion der personellen wie institutionellen Verflechtungen Bonagiuntas.
Mai 2024
März 2025