Deutsches Studienzentrum in Venedig

Sabine Scholl

Sabine Scholl

Schatten der Erinnerung (Kunststipendium)

Literatur

„Erinnerung ist nicht nur das von einem selbst Erlebte, sondern ein Mosaik aus den Abdrücken, die Texte, Bilder oder Riten über Generationen in uns hinterlassen“, schreibt Aleida Assmann in Der lange Schatten der Vergangenheit. Der Zweite Weltkrieg lebt in den Nachgeborenen fort, ob diese das wahrhaben wollen oder nicht. Nun, da die politische Lage in einigen europäischen Ländern stark nach rechts tendiert, will ich mich im nächsten Romanprojekt Erinnerungsresten widmen und zeigen, welche Handlungen vor allem Frauen in schwierigen Zeiten setzten.
In einem österreichischen Dorf nahe des Ortes, in dem ich aufgewachsen war, entdeckte ich Aufzeichnungen einer adeligen Gutsbesitzerin, die in Konflikt mit dem nationalsozialistischen Regime geraten war. Ich begann, nachzuforschen und entdeckte immer mehr spannende Kriegsbiographien. So entstand der Plan, ein Panorama der Erinnerung an weibliche Handlungsmuster zu schreiben.
Im Roman werden die Schicksale verschiedener Frauen parallel geführt, neben der Gräfin eine junge Jüdin, der es gelang nach Shanghai zu fliehen, eine Frau aus meinem Geburtsort, die sich als KZ-Wärterin anheuern ließ, eine falsche Adelige, die sich Nazi-Größen andiente, eine jüdische Berlinerin, deren Familie in den österreichischen Bergen diskriminiert wurde und daraufhin ihr Verschwinden inszenierte, eine Widerstandskämpferin in den Alpen und so fort. Da mich besonders die Orte meiner Herkunft beschäftigen, über deren Vergangenheit ich während meines Aufwachsens nie etwas erfahren hatte, sollen auch meine beiden Großmütter und ihre Lebensumstände vorkommen.
Die letzten Monate sammelte ich Material, las Memoiren, Dokumente, Tagebücher, hörte Interviews und besuchte Orte weiblichen Widerstands. In Venedig will ich zu schreiben beginnen, gleichzeitig aber auch die Stadt und ihre Stimmen auf mich wirken lassen. Fakt und Fiktion vermischen sich in meinen Romanen ohnehin immer. Besonders die Partisaninnen von Venedig interessieren mich und ich hoffe, dass ich mehr darüber erfahren werde. Auch die Geschichte des Hauses, in dem ich mich nun befinde, will ich berücksichtigen. Ich hoffe, in den drei Monaten meines Aufenthalts eine erste Fassung entwerfen zu können.

Von Oktober 2018 bis Dezember 2018